Botanikerin & Journalistin
Das sagt Siegrid Hirsch über sich...
Als Volksschulkind lag ich einmal auf einer Wiese. Es war brütend heiß, ein Sommertag in den Ferien. Schmetterlinge (die gab es damals noch reichlich) ließen sich auf Blüten nieder, Heupferdchen sprangen aufgeregt (weil ich Störenfried da war), Schwalben flogen tief (denn Regen war im Anzug).
Während ich dem Summen und Zirpen zuhörte und die aufgeheizte Erde unter mir spürte, hatte ich tief in mir die Gewissheit, ein Teil davon zu sein. Das Gefühl war stark und erfüllte mich vollkommen. Seit damals sind für mich Tiere und Pflanzen Mitgeschöpfe und ebenso wertvoll wie ich selbst oder andere Menschen. Sie sind ich und ich bin sie.
Dieses Schlüsselerlebnis hatte ich vor jetzt 65 Jahren und es ist noch immer da, wie wenn es gestern gewesen wäre. Für mich ist die Zuneigung zu allem Lebendigen nicht nur der Schlüssel für ein erfülltes Leben, es war und ist auch das Tor zu Zufriedenheit und Glück.
Hier findest du Siegrid Hirsch
Steckbrief
NAME
Siegrid Hirsch
Pflanzenfamilie
Meine Wurzeln liegen nahe dem größten Steppensee Europas, ganz im Osten Österreichs. Dort ist es extrem. Entweder sehr heiß oder sehr kalt und es gibt noch weite Naturlandschaften.
Es ist Grenzland und ein bisschen an der Grenze bewegt sich eine Kräuterfreundin ja sowieso, insofern ist es passend. Ich habe viele Lieblingspflanzen.
Im Moment ist es eine Passionsblume, die ich im Freien mit Erfolg bereits das vierte Jahr über den Winter gebracht habe und die es mir mit hunderten riesigen Blüten dankt. Mit ihr könnte ich mich identifizieren, denn sie wächst der Sonne entgegen, ohne andere zu behindern.
VORKOMMEN
Wohnort
Mich hat es aus einer sehr warmen in eine eher kühle Gegend verschlagen. Dorthin, wo es die dicksten Kartoffeln und den besten Hafer gibt – ins österreichische Mühlviertel. Es ist ein Land, in der auf den Hügeln große Vierkanter stehen.
Das sind Bauernhöfe, gebaut aus hartem Granit. In meinem alten weinbewachsenen Haus mit großem Garten lebe ich mit rund 20 geliebten Zwerghühnern, vielen Wildkräutern, Hollerbüschen und ein paar riesigen Bäumen.
Dahinter gibt es nur mehr Feld und Wald. Besuch gibt es natürlich auch: Kinder und Enkelkinder, Kräuterfrauen und Hühnerliebhaber aus ganz Österreich.
STANDORT
Wenn ich es mir aussuchen könnte, wäre ich andauernd unterwegs. Von einer heiligen Quelle zur anderen, von einem Pilgerweg zum nächsten – dem schieben meine vielen Hühner einen Riegel vor, sie fordern Anwesenheit.
Lieblingsort ist somit mein Garten, in dem ich immer wieder neue Sensationen entdecke. Ein Schöllkraut, das sich aus dem Nichts ansiedelt. Ein Aronstab, der auf einmal wächst.
Die Schneerose, verkümmert über den Sommer und dann zu Weihnachten mit 30 riesigen, schneeweißen Blüten. Wunderbare Welt und gar nicht klein. Je älter ich werde, desto bewusster genieße ich den Augenblick.
BOTANIK
Wurzeln, Stängel, Blattwerk, Blüte, Früchte
Wurzeln
Wenn ich als Kind mit meiner Mutter das Bachufer entlangstreifte und wir gemeinsam Seifenkraut-Wurzel ausgruben wusste ich, was Heimat ist. Heimat ist, das Waschmittel für das einzige Paar Seidenstrümpfe suchen. Es war früher so.
Da gab es keine billigen Strumpfhosen, du hattest Strümpfe, und die mussten sanft gepflegt werden, neue gab es nämlich nicht. Meistens war alles klar und einfach. Keine Handys, kein Fernsehapparat und an jedem Sonntag ging ich mit meinen Brüdern 5 km zur Kirche.
Ein schönes Leben. Sicherheit gab es in Familie und in der Natur. Eine solche Sicherheit wünsche ich heute manchmal all den kleinen und größeren Kindern, die zwar so viel mehr an materiellen Gütern haben und für mich doch ziemlich arm sind. Sie kommen nicht mehr auf ihre Kosten.
Verbaute Landschaften, kaum mehr große Bäume, wenig Abenteuer, die Familie als (Herz)Zentrum selten vorhanden. Unsere Erfahrungen in der Kindheit sind wie das Kellergeschoß, auf dem man ein Haus baut.
Hat man es nicht, bricht das Haus zusammen. Unsere Familie ist vergleichbar mit den Wurzeln der Pflanzen und in unserer Kindheit verankern wir uns in dieser Welt. Wir müssen unsere Wurzeln annehmen, sonst haben wir keine Standfestigkeit.
Das gilt für einen Baum genauso wie für einen Menschen. Egal, wie sie sind, die Wurzeln sind das, was uns mit der Erde, mit unserer gesamten Existenz, verbindet. Ohne diesen festen Stand gibt es kein wirkliches erfülltes, sicheres Leben.
Stängel
Es wächst der Mensch mit seinen größeren Zwecken – sagt Friedrich Schiller und so ist es auch. Als meine Kinder auf die Welt kamen und ich mit meinem Mann in den Westen Österreichs zog, waren wir auf einmal auf uns allein gestellt. Kulturschock.
Vom Land in die Stadt. Vom Ort, in dem jeder jeden kennt, in die Fremde. Es war gut so. Mit jeder neuen Aufgabe und mit der Berufstätigkeit verändert sich alles. Du siehst über den eigenen Tellerrand hinaus.
Ich bin viel gereist in meinen jungen Jahren. Die ganze Welt war noch liebenswert und die Malediven noch nicht vor dem Absaufen. Ich arbeitete im Hörfunk an Formaten wie „Arche Noah“ (eine wöchentliche Sendung über Natur- und Umweltschutz), „Harmonie“ (eine tägliche Sendung über Esoterik und religio) und rief die Berichterstattung über heimische Märkte und Lebensmittel ins Leben.
Und dann begann ich eine langjährige Ausbildung in Heilpflanzenkunde. Das tat ich ausschließlich für mich selbst und aus purem Interesse, schulisch war ich ja ganz anders aufgestellt. Ich hatte eine Ausbildung zur Hochbautechnikerin hinter mir – meinem Vater geschuldet, der als Baumeister alle seine Kinder in einem Beruf „mit Zukunft“ sehen wollte.
Blätter und Blüten
Viel von dem, was in mir gewachsen ist, verdanke ich einem großartigen Menschen: meinem Kräuterlehrer Ignaz Schlifni. Er wäre jetzt bereits über 100 Jahre alt und hat bis zu seinem Tod Menschen darin ausgebildet, die Natur ganzheitlich zu sehen.
Die falschen Ansätze in der Landwirtschaft, die hemmungslose Ausbeutung unserer Mutter, der Erde, hat ihn bereits vor mehr als 70 Jahren angetrieben. Er hat all das Fehlverhalten früh erkannt und versucht, gegenzusteuern. „Nur was du kennst, schützt du auch“, sagte er immer.
Er hat einen Kräuterverein gegründet, der älteste und auch größte Kräuterverein Österreichs – FNL – das bedeutet: Freunde naturgemäßer Lebensweise. Der Verein bildet in seiner Kräuterakademie nach wie vor Frauen und Männer aus – über 400 Pflanzen muss man genau kennen – ehe man sich einer botanischen Prüfung stellt.
Außerdem ist das Wissen über die volksheilkundlichen Anwendungen der Kräuter verpflichtend. In diesem Verein bin ich jetzt seit 20 Jahren Vorstandsmitglied und betreue die Mitgliederzeitung Gesundheitsbote. Es sind mir also viele Blätter und Blüten gewachsen und ich habe auch viele befüllt und verwertet.
Früchte
In der Zeit meiner Ausbildung zur Heilkräuterfrau (1986 – 1989) wurden in Österreich viele neue Kräutergärten gegründet. Einer davon war jener meines Kräuterfreundes Felix Grünberger – er hat dafür sogar einen Landes-Umweltpreis bekommen.
Wir wollten uns weiterbilden und schrieben immer alles auf, was uns zu den Kräutern entweder zugetragen wurde, was wir von unserem Lehrer erfuhren oder was sich durch den Anbau der Kräuter ergab.
Aus den Aufzeichnungen wurde mit den Jahren ein Buch, geschrieben aus der Praxis und für die Praxis – und zuerst einmal ausschließlich für uns selbst, denn wir wollten nicht mehr unter 1.000 Zetteln suchen, sondern ordneten von A bis Z. „Kräuter in meinem Garten“ ist mit der Zeit zu einer Art Kräuterbibel geworden, die seit den 90iger Jahren immer wieder neu erscheint.
Damals gab es noch kein Internet und die vielen digitalen Möglichkeiten von heute konnte man sich nicht einmal vorstellen. Das Buch hat vielen Kräuterfreunden und Kräuterfreundinnen Freude bereitet – mir auch – denn wenn ich etwas vergessen habe – was jetzt schon manchmal vorkommt – schau ich einfach nach und gleich ist alles wieder präsent.
INHALTSSTOFFE
Ich bin extrem neugierig. Manchmal besuche ich Bekannte, die in einem Heim leben und wenn ich dann weggehe, komme ich drauf, dass die ja alle um Jahre jünger sind als ich und doch ihre Visionen verloren haben.
Die Zeit ist verflogen, und ich habe den Eindruck, ich bin immer noch nicht fertig gebacken. Die Welt ist spannend. Ich kann lernen – von jedem Menschen, von jedem Tier und besonders viel von Pflanzen. Und ich habe Verantwortung. Heute mehr denn je.
WIRKWEISE
Global denken, lokal handeln war ein Spruch der 80iger-Jahre. Die Welt kann ich vielleicht nicht mehr retten, es ist mir ja auch bisher nicht gelungen. Aber ich kann nicht aufhören und muss mich weiter bemühen. Umwelt- und Naturschutz sind meine Themen.
Ich bin bei jeder Baumschutzaktion dabei, bei jeder Demo in meiner Gegend, bei der es um Natur und Umwelt geht. Manchmal sind wir erfolgreich, manchmal nicht. Aber – aufgeben kann man nur einen Brief, niemals das, was einem am Herzen liegt – auch wenn die eigene Bequemlichkeit im Weg steht.
TYPISCH
Immer schon hab ich es mit Dichtervater Goethe gehalten der in einem Satz alles sagt, was es zu sagen gibt:
Die Natur ist das einzige Buch, das auf allen Blättern vollen Inhalt bietet. (Leider gibt es viel zu wenige Menschen, die ein Buch lesen.)Immer schon hab ich es mit Dichtervater Goethe gehalten der in einem Satz alles sagt, was es zu sagen gibt:
Die Natur ist das einzige Buch, das auf allen Blättern vollen Inhalt bietet. (Leider gibt es viel zu wenige Menschen, die ein Buch lesen.)Immer schon hab ich es mit Dichtervater Goethe gehalten der in einem Satz alles sagt, was es zu sagen gibt:
Die Natur ist das einzige Buch, das auf allen Blättern vollen Inhalt bietet. (Leider gibt es viel zu wenige Menschen, die ein Buch lesen.)